Bericht in der Stuttgarter Zeitung


Der Trumpf-Neubau aus architektonischer Sicht

Auf die unstrittig bemerkenswerte Architektur des Neubaus der FirmaTrumpf in Hettingen ist unlängst das Kulturressort der "Stuttgarter Zeitung" eingegangen.

Nachdem es immer interessant ist, wie örtliche Dinge andernorts gesehen werden, wird der Beitrag nachstehend veröffentlicht:

KULTUR

Gezackte Skulptur aus Blech

Architektur Die neue Produktionshalle des Werkzeugmaschinenherstellers Trumpf in  Hettingen setzt Maßstäbe in der Gestaltung im Industriebereich. Die nächsten Bauabschnitte in der Kleinstadt am Rande der schwäbischen Alb sind in Planung. Hans-Jürgen Breuning

In sanften Bögen windet sich das Flüsschen Lauchert durch dieses idyllische Tal. Umsäumt von steilen, dicht bewaldeten Hügeln, aus denen hier und da weißgraue Felsen hervorragen, führt sein Lauf direkt ins beschauliche  Hettingen im Südwesten der Schwäbischen Alb. Auch die Straße und die Bahnlinie, die den kleinen Ort mit dem zwanzig Kilometer entfernten Sigmaringen verbinden, zeichnen wie schmale Bänder diese weichen, mäandrierenden Landschaftsformen nach. Viel könnte man an diesem pittoresken Ort vermuten: ein verträumtes Heimatmuseum vielleicht, eine trutzige Burgruine oder eine versteckte Tropfsteinhöhle.

Aber dann kommt plötzlich alles anders: Man hat den Ort gerade erst erreicht, schon schimmert ein erstaunlich großes, gezacktes Bauwerk mit seiner grauen Blechfassade hinter den vertrauten Ziegeldächern hervor. Kein Zweifel, ein imposanter Neubau. Aber was verbirgt sich dahinter? Vorbei an den Nachbarbauten - kleinen, fast schon putzig wirke n den Einfamilienhäusern, die sich am Flussufer aneinanderreihen - öffnet sich sogleich der Blick, und das verblüffend andere Haus gibt seine wahre Größe und sein Gesicht zu erkennen. Ohne Werkstor, ohne Zaun oder Schranke steht man direkt vor einem neuen Hallenbau.

Auf allen drei Ebenen seiner Schmalseite öffnet sich der Baukörper mit seinen großen, raumhohen Verglasungen. Dahinter beginnt an der Längsseite, die man jetzt aus der Perspektive wahrnimmt, das rhythmische Spiel der plastisch gezackten Fassade aus Wellblech. Auch im Erdgeschoss öffnet sich der Hallenkörper. Dort verläuft ein drei Meter hohes, flächenbündiges Glasband - doch gleich darüber modellieren kräftige Faltungen das große Volumen, bilden immer wieder leichte Vor- und Rücksprünge, gliedern das mächtige Hallenschiff und bauen dadurch Bezüge zu den umgebenden, kleinen Wohnbauten auf.

Wie eine konsequente Fortschreibung dieses Motivs, das die Halle mit dieser fein strukturierten Hülle umgibt, wirken nun auch die kantigen Zacken der Sheddächer. Geradezu selbstverständlich scheint sich die Plastizität der fünften Fassade zu ergeben. Mancher mag es kaum glauben, dass er hier vor einem Industriebau steht, der vor allem durch seine präzise bestimmten, inneren Funktionen seine Gestalt erfährt. Doch die Hinweisschilder lassen keinen Zweifel aufkommen: Man ist mitten auf dem Gelände der Firma Trumpf, dem Unternehmen, das bereits in Ditzingen mit seiner 'Corporate Architecture' deutliche Maßstäbe gesetzt hat.

Nicht ohne Grund vertraute Trumpf deshalb auch in  Hettingen auf die Kompetenz des Berliner Büros Barkow Leibinger. Bereits 2009 hatten die Architekten hier ein Bürogebäude mit Lehrwerkstätten errichtet und kurze Zeit später einen Masterplan für das gesamte Areal konzipiert. Wird alles wie geplant umgesetzt, dann wird sich der Standort in den nächsten Jahren radikal verändern, denn die neue Halle ist nur ein erster wichtiger Baustein dieses ambitionierten Masterplans, der in den kommenden Jahren insgesamt vier Bauabschnitte vorsieht.

Blickt man kurz hinüber zu den bestehenden Hallenbauten, deren Anfänge bis in die 1950er Jahre zurückreichen, dann kann man erahnen, weshalb hier ein epochaler Wandel bevorsteht: Weder von ihrer Größe, die den aktuellen Anforderungen nicht mehr genügt, noch von ihrer Technik und Anmutung scheinen die schlichten, gesichtslosen Altbauten erhaltenswert. Sie erinnern vielmehr an Frank Lloyd Wrights abschätziges Urteil: 'Die meisten ?modernistischen? Häuser sehen aus, als wären sie mit der Schere aus Pappkarton ausgeschnitten und mit Klebstoff zu kastenähnlichen Formen zusammen gesetzt.' Besonders im Kontrast zur benachbarten neuen Produktionshalle wirken diese simplen Kubaturen wie aus einer vollkommen anderen Zeit.

Dieser Epochenwandel macht sich gerade auch innenräumlich bemerkbar. Schon im lichtdurchfluteten Entree an der Stirnseite, in dem sich Büro- und Besprechungsräume befinden, manifestiert sich der Aufbruch in die Zukunft: Sichtbetonwände, Natursteinplatten in 'nero assoluto' und Glastüren mit Eichenholzrahmen verleihen diesem Bereich seine dezente Eleganz und versprühen eine spürbar neue Raumstimmung. Erstaunlich klar wirkt auch die innere Logik des 120 Meter langen und 24 Meter breiten Bauwerks: Der Verwaltungstrakt besitzt in den Obergeschossen innenliegende Glasbänder, um von dort aus die Montage der Laser- und Stanzmaschinen bestmöglich im Blick zu halten. Produktion und Verwaltung stehen so in direkter Beziehung zueinander.

Beim Gang durch das großzügig wirkende, 13 Meter hohe Hallenschiff schaut man nicht nur auf die Stahlskelettkonstruktion, die beeindruckenden Krananlagen oder den Versandtrakt am südlichen Ende. Wie selbstredend tauchen nun auch wieder die benachbarten Wohnbauten hinter dem erdgeschossigen Glasband auf. Die begrünten Sheddächer, die über ihre Verglasungen den Blick auf die umgebende Landschaft öffnen, tragen mit dazu bei, dass man die Besonderheiten des Ortes spürt und versteht, dass die expressive Form sehr wohl auch etwas mit der inneren Funktion zu tun hat. Noch gibt es keinen Pausenraum für die Mitarbeiter, doch an der provisorisch geschlossenen Westfassade kündigt sich schon der nächste Bauabschnitt an.

Für ein 'Landstädtchen', das gerade einmal 850 Einwohner zählt, ist der als 'Standortumwälzung' bezeichnete Masterplan eines Unternehmens, das knapp 500 Mitarbeiter beschäftigt, eine echte Herausforderung. Der Auftakt ist vorzüglich gelungen, wie sich jedoch weitere Hallenschiffe dieser Art in die kleinmaßstäbliche, dörfliche Struktur eingliedern lassen, muss sich erst noch zeigen. Eines lässt sich hingegen heute schon ablesen: Der Geist des Unternehmens - jene besondere Sensibilität für qualitätvolle Architektur, die am Standort in Ditzingen schon deutliche Spuren hinterlassen hat - ist nun definitiv auch in  Hettingen angekommen.

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Hier der Beitrag im Original:


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