Inneringens next Topmodel


Homestory in 130 Ländern

Nicht nur die regionale Werbebranche setzt auf Gesichter aus Inneringen, auch die zum Springer-Konzern gehörende und in 130 Ländern verkaufte Tageszeitung DIE WELT setzte in ihrer Homestory über jagende Frauen mit Anna Teufel ein Gesicht aus Inneringen in Szene.

Es gibt nicht mehr viele Männerdomänen - aber auf dem Hochsitz zu lauern und zu schießen, Wild zu scheuchen und Waffen zu vergleichen gehörte bisher unbedingt dazu. Bisher. Denn die Zahl der Jägerinnen, die sich zur Prüfung anmelden, steigt kontinuierlich. Holger Kreitling hat einige von ihnen besucht - natürlich im Wald

Mit diesen Worten beginnt der im November 2011 erschienene Beitrag. Mehrere jagende Frauen werden in diesem Beitrag portaitiert, Anna Teufel war dabei die jüngste.

Nachstehend der Teil der Reportage, der sich mit der jungen Jägerin aus Inneringen befasst:



Ein grüner Hut komme nicht infrage, der sehe an ihr blöd aus

Anna Teufel, 16, schafft es, bei der Jagd ihren Berufsalltag nicht zu vergessen, sondern zu befördern. Sie ist Schülerin. Wir sitzen am Nachmittag auf dem Hochsitz im Forst bei Inneringen auf der Schwäbischen Alb und warten. Wie so oft tut sich praktisch nichts. Nebel zieht auf, rote Blätter fallen von den Bäumen. Annas Vater ist Förster, er sitzt nicht weit entfernt, seine Tochter darf als Jungjägerin nicht alleine jagen. Er hat schon vorgewarnt. Das Wild sei gut genährt, außerdem reagierten Rehe nervös auf Bewegungen, das fallende Laub versetzt Rehe also in den Reizüberflutungsmodus. Und prompt bleiben die Tiere lieber im Gebüsch. Wir schweigen still. Anna trägt Bundeswehrfleckhosen und eine schwarze Wollmütze. Ein grüner Hut kommt nicht infrage, der sieht an ihr blöd aus, sagt sie.

Wenn auf dem Hochsitz wenig zu gucken ist, setzt Anna Teufel ihren Gehörschutz auf und schaltet das Radio ein. Sie hört aber keine Popmusik, sondern einen französischen Sender, in dem viel gesprochen wird. Das hilft für den Französischunterricht. Manchmal wiederholt sie im Kopf Grundrechenarten. Oder sie rechnet Potenzen, drei hoch zwei, drei hoch drei, drei hoch vier und so weiter. Ernsthafte Schülerinnen tun so etwas.

"Hast du Mitleid?"

"Mit wem?"

"Den Rehen."

Sie überlegt. Die Nase kräuselt sich.

"Ein bisschen. Es stirbt ja. Aber ich habe auch Mitleid mit dem Wald. Rehe schießt man halt im Wald. Da kann niemand etwas daran ändern."

Anna Teufel, daran besteht kein Zweifel, ist eine ernsthafte und prinzipientreue Jägerin aus Leidenschaft. Sie schwärmt von der Veränderung des Lichts beim Ansitzen, von den langen Stunden im Wald, die nie ohne Sinn sind. Als sie vor einem Jahr das achte Mal mit ihrem Vater zum Jagen ging, sah sie nachmittags ein Reh. "Es war ein ziemlich guter Schuss, ein Leberschuss", sagt sie. Ihr Vater kletterte herunter, besah das Tier. Anna sollte sitzen bleiben. "Ich war so aufgeregt, ein Reh, ein Reh, oh Gott oh Gott. Er war lange weg, kam zurück, beschrieb das Tier, so und so groß. Wir blieben noch eine Stunde sitzen, es kam nichts mehr. Da war ich schon ziemlich sauer."

Sie gaben es dann auf, stiegen vom Hochsitz.

Der Vater: Komm, wir gehen zum Auto.

Anna: Unser Reh liegt doch da hinten?

Der Vater: Nein, das habe ich schon zum Auto gebracht.

Anna: Waas?

Noch ein Jahr später möchte das Mädchen schier explodieren. So gemein sei das gewesen, sagt sie in herrlichem Schwäbisch. Ihr erstes Reh.

Das Gehörn ihres ersten geschossenen Bocks behielt sie, ansonsten mag Anna Trophäen nicht. Einen Hirschen etwa möchte sie keinen schießen, weil sie nicht weiß, wohin mit dem Geweih. Auch Jagdzimmer findet sie unheimlich, besonders wenn es dunkel ist. Da hängen dann sämtliche Rehböcke einer Jägerkarriere an der Wand, dazu Fuchsbälge und Sauenschwarten, ausgestopfte Enten und Krähen. Totes Wild im Haushalt. Anna schaut, als spräche sie von schlechten Horrorfilmen. Ihre Mutter hat dem Vater verboten, Trophäen im Forsthaus aufzuhängen.

"Ich war auch die Jüngste. Und die Dümmste. Und ich habe immer gefroren"

Sie sind zwei Schwestern im Försterhaushalt. Anna interessierte die Jagd immer, die ältere Schwester fand es furchtbar, wenn der Vater totes Wild mit nach Hause brachte. Als sie den Jagdschein machte, war sie noch 15, die Gruppe war klein, nur Männer. "Ich war auch die Jüngste. Und die Dümmste. Und ich habe immer gefroren. Also ich war das typische Mädchen im Kurs." Es klingt schon deshalb nicht besonders selbstanklagend, weil Anna "Jüngschde" und "Dümmschde" sagt. Sie lacht. Jedenfalls sitzt die Gruppe die ganzen Sommerferien über im Blockkurs, von Montag bis Sonntag. Man werde nicht braun, der Sommer gehe so dahin, sagt sie bedauernd. Aber es hat sich gelohnt.

Der Jagdlehrer war über 80 Jahre alt, sie fand ihn toll. Alte Schule, aber neue Methoden. Das Fach Jagdrecht fand sie grauenhaft kompliziert, am liebsten mochte sie Waffenkunde. Überhaupt Waffen. Die Schülerin gerät ein wenig ins Schwärmen. Waffen fühlen sich gut an, riechen gut. Anna schießt gerne, natürlich viel öfter auf dem Schießstand als im Wald. Einer von ihren Prüfern ist gegen Frauen auf der Jagd, er war leicht genervt von ihr, wollte etwa wissen, ob man mit Vorderladern auf die Jagd gehen darf, also mit Waffen, die noch mit Schießpulver gestopft werden. Man darf es, aber es tun vielleicht 100 Jäger in ganz Deutschland. Für die Prüfung in Waffenhandhabung bekam sie ein Blaser R93 gestellt. Annas Augenbrauen ziehen sich nach oben. Ihr Traumgewehr. Soo schön sei das, leider schweineteuer.

Anna bestand. Zwei Jagdschein-Anwärter fielen durch, der alte Jagdlehrer war so schockiert, dass er nicht zur Feier erschien. Anna trank Spezi, dann ging sie auf den Geburtstag einer Freundin. Einigen ihrer Klassenkameraden fehlt das Verständnis für ihre Jagdleidenschaft. "Wie kannst du nur?", heißt es. Den Disney-Klassiker "Bambi" hat Anna noch nicht gesehen. Obwohl Freundinnen sagen, der Film, der die Jägerschaft mehr in Verruf gebracht hat als alles andere, sei so süß.

Was sie an der Jagd stört, ist ziemlich klar. Dass es fast nur Männer sind, sagt sie. Und dass Jäger oft abgestempelt werden als Gruppe, die mit dem Flachmann auf dem Hochsitz rumhängt, Schnaps in sich reinleert und dann nach Hause geht. Das sei einfach nicht so.

"Ich habe auf der Jagd noch nie Schnaps getrunken."

"Wie ist es mit Jägermeister?"

"Ob ich das trinke?"

"Ja."

"Nein! Iiih."

Dann erzählt sie von Ritualen, die sie für komplett überflüssig hält. Wer auf einer Entenjagd seine erste Ente schießt, wird in manchen Gegenden zum Entenjäger geschlagen. Sie hat nur Fotos gesehen. Die Fotos reichten ihr. Das geht so: Der Jungjäger muss einen Schnaps trinken, dann die Hose runterlassen. Er bekommt einen Schlag auf den Hintern. Dann noch einen Schnaps. Daraufhin muss er seine Ente am Hals in den Mund nehmen und zu seinem Platz apportieren, noch einen Schnaps trinken und das war es. Das erfüllt das komplette Jäger-Klischee, sagt Anna Teufel.

Fünf Rehe hat sie bisher geschossen, aber das ist ihr nicht besonders wichtig. Als faule Jägerin wurde sie im Spaß bezeichnet, weil sie das erste Wildschwein erst im Winter schießen möchte statt sich die Nächte im Sommer um die Ohren zu schlagen. Sie schläft lieber. Dieser nüchterne Pragmatismus wirkt entzückend. In ihrem Zimmer hängen normale Fotos und Bilder eines Teenagers, keine Jagdmotive. Sie schaut den Besucher an und erklärt fest: "Es gibt keine schönen Jagdposter."


"Als ob du noch was siehst!"

Nach dem Abitur will sie an einer Berufsakademie studieren, International Business, vielleicht mit Fremdsprachen. Dafür kommt Anna auf jeden Fall aus Inneringen heraus, das Dorf liegt 800 Meter hoch, ohne Busverbindung, der Zug kommt den Buckel nicht hoch, wer mit dem Rad fährt, braucht fünf Minuten bis ins nächste Dorf, aber eine Stunde zurück. Anna hadert mit dem Ländlichen, wie es alle jungen Menschen tun, die Träume haben und ihr Leben planen. Zur Jagd könne man aus der Stadt immer noch herausfahren, sagt sie. Und das ist klar, die Jagd wird sie nicht aufgeben.

Draußen auf dem Hochsitz wird es wieder einmal dunkel. Anna ist schon seit Minuten ein bisschen unruhig. Sie könne jetzt nicht mehr schießen, wispert sie und schreibt dem Vater eine SMS. Die Antwort kommt prompt: bleiben. Sie schaut, als wolle sie "Ach, Männer" sagen. Der Boden unter dem Hochsitz ist kaum noch auszumachen. Die Tochter sendet: "Als ob du noch was siehst!" Da hat der Förster ein Einsehen und meldet zum Aufbruch.

Und dann geschieht etwas, was den Sinn des Ansitzens erklärt, die Schönheit des Waldes zeigt und das Augenglück des Jagens. Etwas rauscht von links heran, Flügel schlagend, hellbraun. Eine Eule. Anna hat im Wald keine Angst, nur wenn Eulen schreien, sei das unheimlich, sagt sie. Wahrscheinlich ist es ein Waldkauz, ganz genau lässt es sich nicht bestimmen. Ein großartiger Moment. Die Eule fliegt ein paar Sekunden, landet irgendwo, verschwindet im Dunkel. Dort wird sie sitzen und warten. Und zuschlagen.

Die Eule ist auf der Jagd.

"Ich bin eigentlich ganz glücklich", sagt Anna Teufel.


Interessante Einblicke, die in der Reportage zu Tage kommen. Und dass sie ihr Heimatdorf im letzten Teil der Reportage ein wenig kritisch betrachtet - geschenkt! Wer soviel Herzblut in die Natur investiert, wird früher oder später erkennen, welche Vorteile "das Ländliche" hat. Ob in Inneringen oder einer Nachbargemeinde.


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